Das Transfer-Drama um Boubacar Traoré

Der erste Transfer ist der schwierigste. Eine Binsenweisheit – doch taugt das Hickhack um Boubacar Traoré nicht als Beispiel für "aller Anfang ist schwer". Trotzdem würde ich eines sofort unterschreiben: Dass kein Transfer je wieder so kompliziert wird wie dieser. Der Fall Traoré: ein Drama.

Dass es ausgerechnet einem Mann mit dem Whatsapp-Spitznamen „DaDa“ vorbehalten war, zu verkünden, dass der Deal „done“ sei, ist die Schlusspointe hinter ereignisreichen Wochen und Tagen. Ein Transferwahnsinn, ein ständiges Auf und Ab, großes Theater, Eitelkeiten, Absurditäten… Dadaismus sozusagen hinter den Kulissen des Fußballgeschäfts.

 

Eine griechische Tragödie in fünf Akten wäre es gewesen, wäre der Transfer von Boubacar Traoré nach Ägypten am Ende geplatzt. Doch es klappte. Und so schrieb „DaDa“ unwissentlich das Happy End hinter den Schlussakt. 

 

 

1. Akt: Exposition (Einleitung/Protase)

Die handelnden Personen werden eingeführt, der dramatische Konflikt kündigt sich an.

 

Boubacar Traoré ist 1,75m groß, Stürmer, Vollwaise und 1998 in Bamako geboren. Er ist malischer Juniorennationalspieler, der 2015 mit der U17 den Afrika-Cup gewann und später in Chile U17-Vizeweltmeister wurde. In Mali sind er und seine damaligen Mitspieler seither Stars, bei ihren Heimspielen füllten sie hinterher große Stadien, vom Staatspräsidenten gab es für jeden Cup-Gewinner ein Häuschen.

Im Sommer 2016, als die Jungs volljährig werden, haben Spielervermittler die Talente längst auf dem Schirm. Reihenweise laden sie sie zu Probetrainings ein, die meisten Spieler wechseln nach Europa. Traoré ist mit einem Agenten in Frankreich unterwegs. Bei der AS Monaco fällt er durch, soweit sind sich alle einig.

 

Dann, so erzählt Traoré später, will ihn ein anderer französischer Klub verpflichten, doch sein Klub-Präsident in Mali lässt ihn nicht ziehen. Eine Anekdote, die, wenn sie sich so zugetragen hat, zunächst ein wenig untergeht – zu Unrecht? Wahrscheinlich ja, wie sich später herausstellen wird.

  

Am Ende des Transferfensters ist Traoré jedenfalls wieder in Mali – und meine Partner-Agentur SPOCS nimmt ihn unter ihre Fittiche.

 

  


2. Akt: Komplikation (Steigerung/Epitase) 

Steigende Handlung – mit erregendem Moment (Katastase). Die Situation verschärft sich.

 

Während seine Kumpels Amadou Haidara bei RB Salzburg oder Aly Malle beim spanischen Erstligisten Granada langsam in Europa Fuß fassen, spielt Traoré weiterhin in der 2. Liga seines Heimatlands.

 

Immerhin: Das Januar-Transferfenster, in dem es für Talente schwer ist, weil die Klubs eher kurzfristig nach Verstärkungen suchen als nach Perspektivspielern, hält eine Überraschung bereit: Eintracht Frankfurt lädt den Angreifer zum Probetraining ein. Ende Januar ist das Visum fertig und Traoré trainiert für eine Woche in Frankfurt mit.

 

Hier komme ich ins Spiel. In Frankfurt und fortan kümmere ich mich um den jungen Mann, der lange sehr verschlossen ist. In seinem melancholischen Blick liegen Sorgen und Zweifel – oder ist es doch die totale Konzentration?

 

In Frankfurt fällt Traoré durch. Deutschland ist ein schwieriges Pflaster: Für die U23 bekommen Afrikaner keine Spielerlaubnis, die Klubs sind vorsichtig.
In Frankfurt fällt Traoré durch. Deutschland ist ein schwieriges Pflaster: Für die U23 bekommen Afrikaner keine Spielerlaubnis, die Klubs sind vorsichtig.

Frankfurt bringt jedoch kein Glück. Traoré fällt wieder durch. Die Begleitumstände sind nicht optimal: der deutsche Winter, eine Mannschaft, die auf Rang vier steht und nach einem Auswärtssieg auf Schalke erst einmal drei Tage frei bekommt, Training mit den Reservisten und Rekonvaleszenten.

 

Aber Traoré ist auch schlicht nicht so gut, dass die Eintracht-Verantwortlichen den Jungen, der kein Wort Deutsch oder Englisch spricht, integrieren möchten, wo doch gerade alles so gut läuft. Hinzu kommt, dass er für die U19 oder U23 als Afrikaner keine Spielerlaubnis erhält. Also muss Traoré wieder nach Hause fahren. 

 

 

3. Akt: Peripetie (Umkehr der Glücksumstände des Helden)

Die Handlung erreicht ihren Höhepunkt (Klimax).

 

Die Situation von Traoré ist komplex: Zum einen hat er einen so beeindruckenden Lebenslauf und gute Videos von U17-WM-Spielen gegen Belgien oder Kroatien, dass Klubs Interesse zeigen. Außerdem ist er günstig: Bei der freien Leihe mit Kaufoption, die mit seinem malischen Verein besprochen ist, ist das finanzielle Risiko des aufnehmenden Klubs auf das Gehalt reduziert.

 

Auch bei Rapid Wien hat Traoré kein Glück. Dafür steht er zum ersten Mal auf einem Laufband und fühlt sich wohl wie in einem Science-Fiction-Film
Auch bei Rapid Wien hat Traoré kein Glück. Dafür steht er zum ersten Mal auf einem Laufband und fühlt sich wohl wie in einem Science-Fiction-Film

Andererseits ist er nun zweimal durchgefallen. Seine Mitspieler von einst sind fast alle in Europa – obwohl er eigentlich als einer der Stärksten dieser Goldenen Generation galt. Die malischen Medien spekulieren, wohin es den Jungen wohl zieht: In die Türkei vielleicht?

 

Die Wahrheit ist: Der nächste Jahrgang ist volljährig geworden, die globale Konkurrenz wird nicht kleiner. Und so tut sich erst einmal nichts. Bis im Juli Rapid Wien anruft, die in ihm den Wunschspieler sehen für die vakante Position des schnellen, jungen Konterstürmers.

 

Traoré fährt in den Senegal zur österreichischen Botschaft, die das Visum in Rekordzeit ausstellt, und schlägt Anfang August in Wien auf. Zunächst trainiert er mit der Zweiten Mannschaft, durchaus ansprechend, wie die Trainer bestätigen, doch abermals passt es nicht.

 

Bei Rapid ist man nach dem mäßigen Saisonstart mit der Offensive unzufrieden. Aus der Anforderung Nachwuchsstürmer wird die Voraussetzung Soforthilfe. Das ist Traoré nicht. Kann er nicht sein. Allein im Ausdauerbereich bescheinigen ihm die Ärzte eine durchschnittliche Jugendspielerverfassung.

 

Völlig normal angesichts der Trainingsbedingungen in seiner Heimat – doch Eingewöhnungszeit, das erkennt Rapid jetzt, ist vorprogrammiert. Und so muss Traoré bereits nach dem ersten Training mit den Profis die Sachen packen.

 


Beim Derby gegen die Austria überzeugen die Rapid-Stürmer kaum
Beim Derby gegen die Austria überzeugen die Rapid-Stürmer kaum
An der Wiener Universität checken Ärzte Traoré durch
An der Wiener Universität checken Ärzte Traoré durch

 

 

4. Akt Retardation (Verlangsamung)

Fallende Handlung – mit retardierenden (aufschiebenden, hinhaltenden, verlangsamenden) Momenten. Die Handlung verlangsamt sich, um in einer Phase der höchsten Spannung auf die bevorstehende Katastrophe hinzuarbeiten.

 

Traoré ist nun eigentlich verbraucht. Der Kopf tut weh von Sorgen und Zweifeln – eine Rückkehr nach Mali wäre unvorstellbar – und die Füße spielen auch nicht mehr mit. Beim KRC Genk in Belgien, wo Traoré nach Wien vorstellig wird, nimmt man ihn auch nicht. Dabei trifft er eigentlich überall das Tor: In Frankfurt ließ er Lukas Hradecky in 1:1-Übungen alt aussehen, im einzigen Training mit Rapids Profis traf er beim Abschlussspiel am häufigsten, in Genk bei zwei knappen Testspiel-Siegen jeweils einmal. Doch es reicht nicht. 

In beiden Testspielen für Genk II traf Traoré jeweils einmal
In beiden Testspielen für Genk II traf Traoré jeweils einmal

Es ist mittlerweile der 30. August, ein Tag vor Transferschluss in den meisten Ligen Europas, als der kroatische Erstligist NK Istra sich meldet und Traoré sofort unter Vertrag nehmen möchte. Allerdings nicht als Leihspieler, sondern als freien Transfer. Traorés Heimatklub bliebe statt der Kaufoption eine Beteiligung am Weiterverkauf.

 

In Mali ist der Vereinspräsident nicht erreichbar, aber sein Umfeld versichert, der Präsident würde unterschreiben. Derweil wird Traoré am Zagreber Flughafen abgewiesen, weil Kroatien zwar zur EU, nicht aber zum Schengenraum gehört. Er schläft in einem Zimmer im Flughafen und fliegt am nächsten Morgen zurück nach Brüssel.

 


Dort, am 31. August, warten alle darauf, dass der Präsident in Mali sich rührt. Vor dessen Haus ist mittlerweile Traorés Schwester angekommen, um ihn anzuflehen, seine Unterschrift unter das Transfer-Agreement zu setzen. Doch sie trifft ihn nicht an – wie auch all die anderen aus Traorés Umfeld, die den Präsidenten suchen. 

 

 

5. Akt: Katastrophe oder Lysis/Dénouement

a) Es kommt zur Katastrophe, die Handelnden (Protagonisten) sind verurteilt/verdammt .

b) Alle Konflikte werden gelöst, die Handelnden sittlich gereinigt/geläutert (Katharsis).

 

Das Drama um Traoré steuert am 31. August gegen 19 Uhr – fünf Stunden vor Ablauf des Transferfensters – auf die Katastrophe zu. Der Präsident meldet sich zu Wort. Ich selbst bin am Flughafen Schönefeld, als mir aus Mali mitgeteilt wird, er verlange 40 Millionen Franc CFA – umgerechnet etwa 60.000 Euro. Unmöglich. Ich schicke ihm eine letzte Sprachnachricht, die er wieder abhört und unbeantwortet lässt. Ein letzter Appell an seine Vernunft.

 

Als ich in den Flieger steige, wechseln sich Zweifel und Hoffnung ab: Sieht er ein, dass Istra die letzte Möglichkeit eines Wechsels nach Europa ist – und er, genauso wie wir, keinen Verhandlungsspielraum mehr haben? Weil wir nehmen müssen, was wir kriegen können. Oder bleibt er stur? Als ich kurz vor Mitternacht in Malta gelandet bin, höre ich: Wechsel geplatzt. Dass es bis zuletzt auf Messers Schneide stand, sieht man daran, dass bei Andruck der kroatischen Zeitungen alles nach einem Transfer aussah. Am nächsten Morgen jedenfalls verkünden die Printmedien einen Wechsel, der nie stattfindet. 

 

Traorés vermeintlichen Transfer nach Kroatien hatten die Medien bereits vermeldet
Traorés vermeintlichen Transfer nach Kroatien hatten die Medien bereits vermeldet

In Brüssel ist Traoré der Verzweiflung nahe. Ein junger Spieler, der von seinem Klub kein Gehalt bekommt, dessen Schuhe wir Berater zahlen und der nie einen schriftlichen Vertrag unterschrieben hat, ist trotzdem Sklave seines Herrn – in dem Fall seines Präsidenten. Doch was hätte der davon, wenn Traoré nach Mali zurückkehren würde? Keiner kennt die Antwort. Aus Mali heißt es, eine Leihe mit Kaufoption – egal wo – würde sofort akzeptiert werden.

 

Solange Traoré Visum hat, bleibt er in Brüssel. Einige Tage später kommt mein Kollege Ibrahim mit einem ägyptischen Klub um die Ecke. Alassiouty Sport, ein Aufsteiger mit wenig Geld und großen Personalsorgen im Sturm. Die Modalitäten mit dem Verein sind schnell verhandelt, wieder werden Mailanhänge mit den Verträgen nach Mali geschickt, wieder spielt der malische Klubboss Theater – mit sich in der Hauptrolle. Viele Stunden und viele unbeantwortete Nachrichten später unterschreibt er schließlich. Geld sieht er auch bei diesem Abkommen frühestens in einem Jahr – ob er den vermasselten Kroatien-Deal schon bereut? 

 


 

Es ist der 7. September, am Morgen, als die unterschriebenen Papiere in Ägypten eintreffen. Schlechte Scans aus einem Internetcafé in Bamako – so sieht die afrikanische Realität aus. Es ist auch hier nun der letzte Tag der Transferperiode. Zunächst muss jetzt der Transfer im FIFA Transfer Matching System registriert werden, dann muss der malische Fußballverband dem ägyptischen die ITC, die internationale Spielerlaubnis, erteilen. Letzte Formalitäten eigentlich – doch das Drama nimmt nun solch bizarre Züge an, dass selbst hartgesottene alte Griechen wütend aus dem Amphitheater gestürmt wären.

 

Am Computerbildschirm in Ägypten taucht eine Fehlermeldung auf: Problem mit der Registrierung dieses Vereins, bitte kontaktieren Sie den malischen Verband.

 

Der Mann, der nun zum Helden der Geschichte hätte werden können, ist Herr D. Herr D. ist beim malischen Verband zuständig für TMS-Angelegenheiten. Und in der Tat: Nach vielen Stunden des Wartens, löst er den Fehler auf – das Thema TMS ist am Abend also erledigt. Nun muss der malische Verband die ITC schicken. Ein Job, der wieder Herrn D. zufällt. Eigentlich nur ein weiterer Klick am Computer.

 

Doch D. ist nicht mehr erreichbar. Dann höre ich aus Mali, dass D. ein finanzielles Entgegenkommen wünsche, schließlich gebe es ohne ihn keinen Transfer. Doch mir wird auch versichert, ich solle mich nicht sorgen, man regle das unter sich. Und tatsächlich: Zwei Stunden später erteilt D. die ITC. Es sind 90 Minuten vor dem Transferschluss um Mitternacht.

 

Endlich angekommen: Bei Alassiouty Sport soll Traoré mit der Nummer 30 auflaufen
Endlich angekommen: Bei Alassiouty Sport soll Traoré mit der Nummer 30 auflaufen

Wer in Bamako zum Helden wurde, ist unklar. Ein Verdacht drängt sich jedoch auf: Der Klubpräsident, der Traoré die Tür nach Europa zuschlug, hat nun auf einmal vollen Einsatz gezeigt. Aber völlig egal: Was bleibt, ist Erleichterung bei allen Beteiligten. 

 

 

Traoré wartet jetzt in Belgien auf das Visum für Ägypten. Die Alassiouty-Verantwortlichen haben ihn bereits als "Überraschung" für den nächsten Spieltag angekündigt. Doch in einigen Tagen läuft auch Traorés Schengen-Visum ab. Wenn alles perfekt läuft, steht er also am kommenden Wochenende für seinen neuen Klub auf dem Platz. Wenn er Pech hat, muss er noch einmal einen Umweg über Mali gehen. Die Schlusspointe unter dieses Drama ist noch nicht geschrieben.

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